Wir bleiben noch einen Moment in Ventspils und Umgebung. Genauer gesagt fahren wir etwa 30 Kilometer weiter an der Ostseeküste entlang bis ins Städtchen Irbene. Wenn man dort von der Hauptstraße abbiegt und über Schotterstraßen in den Wald hineinfährt, kommt man schon bald durch eine Geisterstadt. Leerstehende, halb zerfallene Plattenbauten, schon lange ohne Fenster, und stark überwuchert mit wilden Pflanzen blicken uns entgegen. Zu Sowjetzeiten haben hier 6000 Menschen gelebt. Was sie hier gemacht haben und warum sie nicht mehr da sind, erfahren wir wenig später.
International Radio Astronomy Center
Der Weg führt uns weiter die Schotterstraße entlang und plötzlich sehen wir ein riesiges, weißes Teleskop vor uns aufragen. Da es auch noch mitten in Sanddünen steht, hat es ein bisschen etwas von einer Mondlandung bzw. erinnert irgendwie an ein Raumschiff. Wir halten am Straßenrand, steigen aus und gehen so nah wie möglich ran. Was für ein gewaltiges Konstrukt. Eine Informationstafel weist uns darauf hin, dass Gruppenführungen nach Voranmeldungen im Ventspils International Radio Astronomy Center möglich sind. Dort sind wir nämlich gelandet. Eine Forschungseinrichtung in Irbene, Lettland.
Spontane Führung
Aber noch einmal zurück: Voranmeldung und Gruppe, okay, das trifft jetzt beides nicht auf uns zu, aber versuchen können wir es ja einmal. Also fahren wir zum Eingang der Forschungsstation und gehen einfach mal hinein. Drinnen werden wir von einem freundlichen Mann empfangen, der, wie es es der Zufall will, gerade Zeit hat und gerne bereit ist uns herumzuführen. Geht doch!
Die frühere Kommandozentrale
Zunächst führt er uns in die ehemalige Kommandozentrale, eine Art Turm mit kleinem Teleskop auf dem Dach. Währenddessen erklärt er uns in fließendem Englisch, dass wir uns gerade in einem früheren sowjetischen Sperrgebiet befinden. Die Russen haben all das hier zu militärischen Zwecken genutzt, u.a. haben sie die USA von hieraus ausspioniert. Hier lebten viele Wissenschaftler, Techniker und ihre Hilfskräfte mitsamt ihren Familien. Am Turm angekommen klettern wir Etage für Etage die rostigen Eisenleitern hinauf bis nach oben und haben eine tolle Aussicht. 1994 wurden die sowjetischen Truppen abgezogen und das Objekt “Sternchen” oder zu russisch ” Zvaigznīte” von den Letten übernommen . Seitdem benutzt die Lettische Akademie der Wissenschaften die Anlage zu Forschungszwecken. Vorher mussten sie allerdings Einiges wieder in Stand setzen. Die Russen hatten die Anlage bewusst in einem sehr verwüsteten Zustand hinterlassen. So erzählt der Lette zum Beispiel von Kabeln in die Nägel reingeschlagen wurden, um sie unbrauchbar zu machen. Wir durchqueren den Kern der alten Kommandozentrale, sehen einen Schießstand, alte Arbeitsplätze und eine bunte Sammlung an Getränkedosen aus längst vergangenen Zeiten.
Als wir wieder unten sind, bittet man uns unsere Handytaschenlampen einzuschalten, denn nun wird es dunkel. Wir benutzen den etwa 600 Meter langen Tunnel von der Zentrale bis zum großen Teleskop. Der Gang durch die Dunkelheit kommt uns wie eine halbe Ewigkeit vor. Zumindest wir Erwachsenen können nur in leicht geduckter Haltung vorwärts gehen. Es riecht, wie es in alten, feuchten Kellern riecht. An einigen Stellen sind Wörter in die Wände geritzt. Irgendwie sind wir froh, dass wir überirdisch zurück gehen.
Die Teleskope
Das Radioteleskop besteht aus zwei vollbeweglichen Parabolantennen mit 16 und 32 Meter Durchmesser. Die größere von beiden, die TR-32 zählt zu den präzisesten in Nordeuropa und ist die achtgrößte der Welt. Zur Erklärung für den Krümel heißt es dann:
Wenn du mit Walkie Talkies zum Mond fliegst, können wir dich hier unten hören. Und etwas genauer bedeutet das: Die Aufgaben des internationalen Zentrums für Radioastronomie sind Weltraumforschungen/technologien sowie Durchführungen von Forschungen im Bereich der Astronomie und Astrophysik. Mit den beiden Antennen werden u.a. Objekte im Bereich zwischen den Sternen, Radiowellen der Sonne und erdnahe künstliche Objekte beobachtet.
Wir bedanken uns herzlich für die spontane Privatführung, freuen uns über die gut angelegten 20 Euro Eintrittsgeld und setzen unsere Reise vor.
Kap Kolka
Hier ist es das erste Mal tatsächlich etwas touristischer. Das Parken kostet etwas, es gibt ein Cafe und einen kleinen Souvenirshop. Es gibt viel mehr Menschen auf einem Fleck als wir es bisher von hier gewohnt sind. Es ist ja auch ein Kap…das geht immer.
An dieser Landzunge laufen zwei Meere ineinander. Das Wasser aus der Bucht von Riga vermischt sich mit der baltischen See. Theoretisch kann man hier also mit jedem Bein in einem anderen Meer stehen. Praktisch sind die Strömung und der Wellengang aber so heftig, dass das Baden verboten ist. Der Strand hier sieht wild aus. Dieses Aussehen hat er den vielen bei einem Sturm umgeknickten Bäumen und holzigem Treibgut zu verdanken, dass überall herum liegt und zum Sitzen und Klettern einlädt.
Dann machen wir noch eine kurze Wanderung durch einen Wald, laut Reiseführer soll es eine Moorwanderung sein. An der ein oder anderen Stelle geht es zwar über Holzstege, Moor ist jedoch nicht zu sehen. Dafür duftet es herrlich nach Wald und während wir durch ebendiesen marschieren spielen wir Tiere-Raten. Für den kleinen Hunger zwischendurch gibt es überall am Wegesrand leckere Blaubeeren.
Camping direkt am Meer
Abends stehen wir auf einem kostenlosen Strandparkplatz, Meerblick und Wellenrauschen inklusive. Da nehmen wir auch gerne in Kauf, dass wir nicht alleine sind. Immer wieder kommen Letten für einen kurzen Spaziergang am Strand oder zum Schwimmen her. Bis spät am Abend herrscht hier reges Treiben. Dann verschägt es auch noch ein paar junge Frauen, die Junggesellinnenabschied feiern wollen zu uns an den Platz. Sie machen ein Feuer, essen, trinken und lachen zusammen. Irgendwann sind auch sie verschwunden. Und wir bleiben ganz für uns alleine an einem kilomenterlangen weißen und verlassenen Sandstrand zurück.
Wow, das ist ja mal wahnsinnig spannend! Wusstet ihr denn vorher durch den Reiseführer von dem Astronomie-Ding, oder war das eine komplette Zufallsentdeckung für euch? Auf jeden Fall ein echtes Abenteuer! Merke ich mir gleich mal vor für unseren nächsten Trip ins Baltikum.
Hallo Lena, erst einmal vielen Dank für deinen Kommentar. Das Astronomie Center haben wir tatsächlich aufgrund eines Blog-Artikels gefunden, in dem es erwähnt war. Das wird euch sicherlich auch gefallen.